Pareto und die Legitimierung der Imperfektion

Pareto und die Legitimierung der Imperfektion

  • On 07/11/2020

Wenn hunderte Kleinstunternehmen dank aktueller Recherchen plötzlich über denselben Vorstand und Aufsichtsrat verfügen, befinden wir uns in der Welt der fragwürdigen Automatismen. Änderungsschneider und Gasthaus mit Homepage im Unterverzeichnis des Providers verfügten plötzlich über ein prominentes Managementteam. Der Webcrawler war auf diese und andere Situationen einfach nicht eingestellt und las immer das dasselbe Impressum.

Pareto und sein Promotor Joseph Juran sind daran unschuldig. Der amerikanische Ökonom und Qualitätsforscher leitete für die Arbeitswelt ab, was der italienische Soziologe vor über 100 Jahren über die Bodenverteilung in Italien feststellte. 20% besitzen 80%, 80% die verbleibenden 20%. Das hiervon abgeleitete Prinzip besagt, dass schon mit 20% des Aufwandes 80% des Ergebnisses erzielt werden, man hingegen 80% benötigt, um die restlichen 20% zu schaffen. Genaugenommen meinte er aber, dass 20% der möglichen Ursachen 80% der Fehler enthielten.

Das Prinzip trifft wohl jeden, der abseits eines getakteten Fließbandes arbeitet. Den Vorstand, der die Fusionsentscheidung in Sekunden fällt, dann stundenlang noch Details abwägt, wie den Verfasser dieser Zeilen, der den Entwurf schnell notiert und dann doch differenzierter ausformuliert.

Die IT kann hingegen schon mit dem Pareto Mindesteinsatz ein gefährliches Ergebnis liefern, das das Auffassungsvermögen eines Einzelnen überschreitet. Jene hunderttausend oder gar Millionen Zeilen können überzeugender sein, als ein sichtbar aus Zeitmangel nicht fertig ausgefülltes Formular.

Die Begehrlichkeiten nach „quick and dirty“ Lösungen sind nicht neu und betreffen wohl vorwiegend die ungeregelten, modernen Gewerbe. Jetzt, wo in Folge gesamte Abläufe digitalisiert werden, entsteht der Wunsch nach Komplexitätsreduktion: Pharmazeuten, Installateure, Rauchfangkehrer und Kfz-Werkstätten haben hingegen noch Richtlinien: nicht der Kunde, sondern behördliche Vorgaben entscheiden darüber, ob die Bremse funktionstüchtig ist, ob das Medikament freigegeben wird.

Folgen wir der 80:20 Regel, gibt es idealerweise fünf Lösungen mit jeweils 80% Ergebnis. Verkettet ist das dann besonders fatal, denn die Ungenauigkeit potenziert sich mit jedem Schritt. 80%>64%>51%>41%. Am Ende des fünften Schrittes bleiben nur noch 33% über. Abhängig von der Auslegung sind entweder 2 Drittel der Informationen verloren oder falsch.

Spätestens dann gibt es eine garantiert falsche Entscheidung, fachlich dokumentierbar auf Basis scheinbar solider Grundlagen. Die Komplexität kann nur reduzieren, wer die Gesetzmäßigkeiten verstanden kann.

So zeigte eine mehrstündige Diskussion mit einem Programmierer eines Vergleichstools, dass seine Kollegen und er sich zwar mit allen technischen Facetten des Problems und dessen Skalierung auf Hochleistungsrechner beschäftigt hatten, die normativen Rahmenbedingungen dabei einfach nicht kannten. Ob eine protokollierte Firma tatsächlich existiert, entscheidet das Firmenbuch und sämtliche Namensänderungen sind dort dokumentiert. Das System erkannte aber Firmen nach deren Umfirmierung nicht, zeichnete eigenständige Schwesterfirmen als mutmaßliche Treffer aus und legte Marken-/Abteilungsnamen als Firmen an. Nach welchen Regeln PLZ, Orte und Straßen tatsächlich miteinander verbunden sind, wusste das sehr schnelle Tool ebenfalls nicht, was zu eklatanten Verzerrungen führte.

Komplexitätsreduktion ist eine ambivalente Forderung. Zwar mögen manchmal Prozesse in ihrem Ablauf simplifizierbar sein, aber die Reduktion der Spezialisierung auf jedermanns Niveau zu fordern, wäre ein Rückschritt in die Steinzeit. Sogar Wäsche waschen erfordert Differenzierung: Wer Bunt- mit Weißwäsche mischte, weiß davon zu berichten.

Wer mit Familie und Kind ein WLAN teilt, dem werden die durch „IP Targeting“ gesteuerten Werbeeinschaltungen auffallen, die nicht differenzieren, ob die Seiten vom Handy des Nachwuchses oder vom Notebook des Verfassers aufgerufen werden. Man weiß zumindest, welche Anschaffungen bevorstehen.

Komplexitätsverweigerung ist im Kommen, gepaart mit dem Unwillen, die Fallstricke einer Gegebenheit anzuerkennen. Mit zunehmenden, nach dem falsch verstandenen Pareto-Prinzip optimierten Automatismen, bereiten wir uns auf ein steigendes Ausmaß an „alternativer Fakten“ vor.

Wenn 20% der Autofahrer betrunken fahren, 80% davon aber trotzdem sicher nach Hause kommen – wohl eine diskussionswürdige Alternative!?

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